Ernst Ziel                               Griechenland

 

 

Der Himmel blaut; es plätschern die Kaskaden;

Sie lullen die Platanen ein in Träume.

Mit Dufthauch füllen wilde Mandelbäume

Die säulenreichen, ragenden Arkaden.

 

Sanft wehet Kühlung von den Uferpfaden,

Wo leise lispelnd ziehn des Meeres Schäume,

Und abends, wenn durch blutige Wolkensäume

Die Sonne sinkt, dann tanzen die Mänaden.

 

Das ist das Land, wo einst des Mäoniden,

Des Pindar und der Sappho Lied erklungen,

Und wo die Wiege stand von dem Peliden.

 

Das ist das Land, wo den Olymp errungen

Die hohe Kraft des herrlichen Alkiden

Und wo voll Würde Sophokles gesungen.

 

1881

 

Paläste, die den Fuß im Meere baden,

Sie streben marmorn in die Himmelsräume;

Mit Dufthauch füllen wilde Mandelbäume

Die säulenreichen, ragenden Arcarden.

 

Sanft wehet Kühlung von den Uferpfaden,

Und Abends, wenn durch blut’ge Wolkensäume

Die Sonne leuchtend sinkt in Meeresschäume,

Dann tanzen wilde Tänze die Mänaden.

 

Das ist das Land, wo einst die Mäoniden,

Des Pindar und der Sappho Lied erklungen

Und wo die Wiege stand von dem Peliden.

 

Das ist das Land, wo den Olymp errungen

Die hohe Kraft des herrlichen Aleiden

Und wo voll Würde Sophokles gesungen.

 

 

 

Ernst Ziel                               Der innere Mensch

1841 - 1921

Je mehr du dich der kalten Welt verschlossen,

Die stets dem Scheine huldigt, nie dem Wahren,

Je tiefer du dich in en eignen, klaren,

Ruhvollen Busen hast hinabergossen:

 

Um desto schön’re Früchte, stillentsprossen,

Wird dir dein ernstes Dasein offenbaren,

Und fern der Thyrsusschwinger wilden Schaaren,

Gesellen Götter sich dir als Genossen:

 

Homer, der uns den Quell des Ewig-Schönen

Erschloß, der Götter, Helden und Najaden

Ließ wandeln unter schwächern Erdensöhnen,

 

Er ging mit blindem Aug’ auf dunklen Pfaden

Und sang in melodienreichen Tönen,

Nach innen blickend, ew’ge Iliaden.

 

 

 

 

Ernst Ziel                               Sei wie das Meer!

1841 - 1921

Sei wie das Meer mit seinem Wogengange,

Das, innern Trieb getreu, zu keiner Stunde

Das Fremde duldet an dem reinen Grunde!

Sei wie das Meer, bewegt von keuschem Drange!

 

Es wälzet unter stürmischem Gesange,

Mit starken Winden in verwegnem Bunde,

Die Trümmer und die Leichen durch die Sunde

Bis zu des Strandes schroffem Felsenhange.

 

Sei wie das Meer und spül’ im Selbstgenügen

Hinweg die todten Satzungen des Lebens,

In die nur Schwächlinge sich weichlich fügen!

 

Dann mühen deine Neider sich vergebens,

Des Herzens Freudigkeit dir wegzulügen:

Sei wahr! Und geh’ die Bahnen großen Strebens!

 

 

 

 

 

Ernst Ziel                               Im Leuchtthurm

1841 - 1921

Landeinwärts braust der Sturm vom Meeressunde,

Kommt mit Titanenschritt daher gezogen;

Es halten Zwiesprach an dem Strand die Wogen

Mit dumpfem Echo auf des Thurms Rotunde

 

Ich aber lehne in der bangen Stunde

Gedankenvoll im hohen Fensterbogen –

Scheu kommt die Möwe übers Meer geflogen

Und bringt vom Bruderstrand dem Strande Kunde.

 

Sie setzt sich flügellahm im Sande nieder,

Und kauernd läßt den müden Kopf sie gleiten

Ins feuchte, sturmverworrene Gefieder.

 

Die Nebel wogen überm Meer, dem weiten;

es hallt die Brandung wild im Felsen wieder –

Mein Geist geht wandern in entlegne Zeiten.

 

 

 

 

Ernst Ziel                               Überschwemmung

1841 - 1921

Gewitterhaft, mit fürchterlichem Krachen,

In jähem Fall, mit mächt’gen Donnertönen,

Daß wiederhallend die Gebirge dröhnen,

So braust zu Nacht die Fluth aus Fensterrachen.

 

Waldbäume rings, die starken, wie die schwachen,

Entwurzelt sie und stürzt mit lautem Stöhnen,

Als gält’s, Geschöpf und Schöpfer zu verhöhnen,

Ins tiefe Thal, daß Mensch und Thier erwachen.

 

Und steigt der junge Tag vom Berg hernieder,

Dann schwimmen auf den Wassern stille Leichen;

Die Wogen flüstern leise Todtenlieder.

 

- Darfst du aufs Morgen bau’n in ird’schen Reichen?

Schicksal hat lastende Cyclopenglieder,

Und doch ist es beschwingt. Wer kann entweichen?

 

 

 

 

Ernst Ziel                               An Heinrich von Kleist

1841 - 1921

Du fühltest im gewalt’gen Busen schlagen

Der ganzen Mitwelt Puls zu allen Zeiten;

Drum mußtest du auch ihr verworrnes Streiten

Gigantenhaft in deinem Herzen tragen.

 

Doch durch des Lebens Meer, wo Felsen ragen,

Wo wär’ ein Compaß, solch’ ein Herz zu leiten?

Die Menschheit tragend in der Brust, der weiten,

Starbst du an ihren ungelösten Fragen.

 

- Wohl manchen Jünger, groß durch schöne Thaten,

Hat Deutschlands ernste Muse zu beweinen,

Den sanften Hölderlin, den großen Platen,

 

Doch mögen thränenwürdig Alle scheinen,

Die, gotterfüllt, der Trübsal Pfad betraten:

Wie dich beweinenswerth find’ ich nicht Einen.

 

 

 

 

Ernst Ziel                               Quelle des Trostes

1841 - 1921

Wenn du ermüdet bist in deinem Streben,

Wenn deines Geistes Pläne jäh zerfallen,

Wenn graunerregende Gespenster wallen

Durch dein zerklüftetes, verwaistes Leben,

 

Wenn über Gräber Klagelieder schweben

Aus deiner Hoffnung eingesunknen Hallen,

Und wenn von deinen guten Engeln allen

Errettend keiner dir die Hand will geben:

 

Dann sollst du aus dem Weltgetümmel gehen

Und deinem Kinde in das reine, helle,

Noch ungetrübte, liebe Auge sehen:

 

Hab’ Acht! wie einen Wanderer die Welle

Des Baches labt, so wird dein Leid verwehen,

Wenn du dir Trost geschöpft aus dieser Quelle.

 

 

 

 

Ernst Ziel                               Maienregen

1841 - 1921

Aus Wolkenschleiern tropft der Maienregen,

Den uns vom Süden her die warmen, sachten,

Noch unverhofften Frühlingswinde brachten –

In jedem seiner Tropfen Frucht und Segen.

 

Sein Kuß erweckt, die lang erstarrt gelegen,

So Baum wie Busch – undmit verschämtem Schmachten

Schaun ihm die Blumen, die vom Schlaf erwachten,

Aus frommen Kinderaugen hell entgegen.

 

Da bricht die Sonn’, umhaucht von linden Düften,

Aus Wolken, die sich noch am Himmel dehnen,

Und doch – o Wunder! – tropft es aus den Lüften.

 

- So weint wohl, wenn nach lang’ gehegtem Sehnen

Ein Glück ersteht aus todter Hoffnung Grüften,

Ein strahlend Menschenauge Freudenthränen.

 

 

 

 

Ernst Ziel                               Frisch auf!

1841 - 1921

Frisch auf! – und die Minute schnell ergriffen!

Willst du des Daseins vollen Preis gewinnen,

So mußt du, weil die Wogen bald zerrinnen,

Beherzt im schwanken Kahne vorwärts schiffen.

 

Wenn wild so mancher Sturm um dich gepfiffen,

Wenn dir Erfahrung fluthete nach innen,

Dann stehst du lächelnd auf des Lebens Zinnen,

Ob auch Charybden heulen in den Riffen.

 

Frisch auf! Der nur darf sich zu Männern zählen,

Der nie im Kampfe nach Gefahren fragte,

Der schnell ergreift, wenn Feige ängstlich wählen,

 

Und der, wenn hoch die Sturmeswoge ragte,

Indem die Schwachen mit dem Schicksal schmälen,

Das Leben für des Lebens Inhalt wagte

 

 

 

 

Ernst Ziel                               An Constanze von H.

1841 – 1921                                        (Bei der Nachricht von ihrem Tode.)

 

 

I.

 

Entsetzt vernimmt der starre Wald die Kunde,

Daß seine Königseiche sei erschlagen

Von jähem Blitz – da geht ein dumpfes Klagen

Durch Zweig’ und Aeste in der weiten Runde.

 

So wird von Freundesmund zu Freundesmunde

Die Schmerzensbotschaft heute fortgetragen,

Daß – ach! die Lippe will das Wort kaum wagen –

Dein Auge brach in bittrer Todesstunde.

 

Ein Weib, dem Göttr all’ ihr Höchstes gaben,

Das durch des Marktes Lärm mit ernsten Mienen

Dahinschritt über Niederes erhaben –

 

Was warst du denen, die dem Markte dienen?

Mir aber, Theure, ward mit dir begraben

Ein Freundesherz, wie kein’s mir sonst erschienen.

 

 

II.

 

Der Schwester Freundin, wurdest du dem Knaben

Zur Freundin auch in seiner Heimath Norden,

Dem Jüngling aber bist du mehr geworden,

Die Weckerin von seinen besten Gaben.

 

Wieließest du, mein junges Herz zu laben,

In Morgengängen an der Warnow Borden

Mich freundlich ahnen hoher Schönheit Orden,

Zu dem nur starke Seelen Eingang haben!

 

Du lehrtest mich, was auch die Jahre brachten,

Erhabnes heiß und Schönes maßvoll lieben;

Du lehrtest Kleinliches mich stolz verachten.

 

So lernt’ ich bald mit meines Herzens Trieben

Als meines Liedes Muse dich betrachten,

Und Muse bist du meinem Lied geblieben.

 

 

III.

 

Wenn je im Sange mir ein Wurf gwelungen

Und wenn in jene Höhn, die sonnenhellen,

Wo Schönheit sich der Wahrheit darf gesellen,

Sich meine Rhythmen zaghaft je geschwungen,

 

So dank’ ich’s dir; denn was ich auch gesungen,

Wie meiner Dichtung Bäche mögen quellen,

Du bist von ihren vielbewegten Wellen

Der ferne Quell, dem einstmals sie entsprungen.

 

Und ob im Mißklang wir zuletzt geschieden,

Ich blieb dir in Bewund’rung warm ergeben –

Nur weil ich mußte, hab’ ich dich gemieden.

 

Und heut, da Blumen leis’ im Wind erbeben,

Constanze, über deines Grabes Frieden,

Zeigt dies sonett mich dankbar dir fürs Leben.